Inflationssorgen, Zinsunsicherheit, Zinsängste – man kann es schon nicht mehr hören. Aber wovor haben die Börsianer denn überhaupt Angst? Auf eine Formel gebracht: Sie fürchten sich davor, schlauer als die Notenbanker zu sein.
Natürlich haben steigende Zinsen auch einen direkten, anlagebezogenen Effekt auf den Aktienmarkt: Höhere Zinssätze machen Anleihen und sonstige Zinsanlagen als Alternativen zur Aktie interessanter als zuvor.
Vor allem aber hat das Zinsumfeld einen grundlegenden fundamentalen Einfluss auf die Aktienkurse. Aber der Reihe nach. Eine gut laufende Konjunktur ist für die Börse eigentlich durchaus erfreulich, schließlich steigen damit die Gewinne der meisten Unternehmen. Und diese sind wiederum der grundlegendste Faktor für Kurssteigerungen.
Schreckgespenst Inflation
Leider aber lauert hinter einer brummenden Konjunktur ein Phänomen, das die schönen Gewinne aller Beteiligten zunichte zu machen droht: Die Geldentwertung, oder Inflation.
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Fed macht es wahr
Denn wenn die Konjunktur rund läuft, steigt auch die Nachfrage, womit üblicherweise die Preissetzungsmacht der Anbieter zunimmt. Gleichzeitig steigt der Druck von den Arbeitnehmern, die an den höheren Gewinnen ihrer Firmen teilhaben wollen und höhere Löhne fordern. Höhere Lohnkosten wollen die Produzenten natürlich möglichst an die Konsumenten weiterwälzen, die wiederum einen Inflationsausgleich fordern – die berüchtigte Lohn-Preis-Spirale setzt sich in Gang.
Dass die Notenbanken einer überschäumenden Konjunktur mit Zinserhöhungen zu Leibe rücken, um die Geldwertstabilität zu erhalten, ist also im Interesse (fast) aller.
Wenn gute Konjunkturdaten "schlecht" sind
Die "Zinsängste" der Börsianer bestehen aber darin, dass die Notenbanker ungewollt über ihr Ziel hinausschießen könnten, und die Konjunktur nicht nur dämpfen, sondern ganz abwürgen. Damit würden die Unternehmensgewinne nicht stabilisiert, sondern ernsthaft gefährdet.
Das erklärt das scheinbare Paradoxon, dass gute Konjunkturdaten zuweilen für fallende Aktienkurse verantwortlich gemacht werden. Notenbanker könnten dadurch zu einem übertrieben straffen Zinskurs angeregt werden, so die Befürchtung.
Ob dieser Konnex jedoch in allen Fällen den Ausschlag gibt, ist zu bezweifeln. Insbesondere wenn die Aktienkurse zuvor gut gelaufen sind, ist das Totschlagargument "Zinsangst" zuweilen ein willkommener Anlass, um Gewinne mitzunehmen – um fundamentale Implikationen steigender Zinsen machen sich dabei die wenigsten Marktteilnehmer Gedanken.
Das empfindlichste Zinsbarometer: Die Börse
Geldpolitik – ein schwieriges Geschäft
Das heißt nicht, dass die Börsianer keinen Grund hätten, der Politik der Zentralbanken zu misstrauen. Schließlich ist Geldpolitik ein diffiziles Geschäft, und die erhoffte Zügelung der Konjunktur lässt sich keineswegs auf Knopfdruck erreichen. Idealerweise soll eine Zinserhöhung in sechs bis neun Monaten auf die Konjunktur wirken – doch ob und wie sie das tut, kann angesichts der Vielzahl der Einflussfaktoren kein Volkswirt der Welt prognostizieren.
Zumal die Notenbank selbst keinen direkten Einfluss auf die Kapitalmarktzinsen nehmen kann. Direkt können die Währungshüter nur die Zinsen am Geldmarkt beeinflussen, indem sie die kurzfristig an die Geschäftsbanken ausgeliehenen Gelder mit ihrem Leitzins teurer oder billiger machen. Über eine langwierige Wirkungskette von kurzfristigen zu langfristigen Krediten, den so genannten Transmissionsmechanismus, kommt eine Zinsänderung irgendwann - so die Theorie - auch bei den Langfristzinsen an.
Die höheren Zinsen sollen die Kreditaufnahme der Unternehmen und der Konsumenten verteuern. Höhere Kapitalkosten und eine geringere Konsumnachfrage schmälern die Bereitschaft, in die Produktion zu investieren. Gleichzeitig verlieren die Unternehmen an Spielraum, die Preise zu erhöhen. Der Inflationsdruck sinkt, und die Währung behält idealerweise ihren Wert - wenigstens im üblichen tolerierbaren Rahmen.
Psychologie ist die halbe Miete
Weil aber die fundamentalen Zinseffekte nun mal so schwer zu steuern sind, arbeiten die Zentralbanker auch oft und gerne mit Psychologie: Ein richtiges Wort zur rechten Zeit kann das Handeln der Wirtschaftsakteure viel direkter beeinflussen als mancher längst erwartete Zinsschritt. Ein falsches Wort zur falschen Zeit allerdings auch - vor allem die Börsianer können davon ein Lied singen. |